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"Poker ist GlĂŒckspiel, und das ist schlicht und weg nicht unsere Aufgabe", so JĂŒrgen Fitschen, ehemaliger Co-Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank.

 

Die AgilitĂ€t der Banken wird immer wieder heiß diskutiert. Dabei steht Vertrauensaufbau stĂ€ndig auf der Tagesordnung. Aber auch AufklĂ€rung ist ein großes Problem. Der normale BĂŒrger versteht oft nicht, wie Banken agieren. JĂŒrgen Fitschen dazu: "Wir vergessen manchmal zu sagen, warum wir das alles machen. Was ist ĂŒberhaupt die Aufgabe von Banken? Wie funktionieren die KapitalmĂ€rkte? Da sehe ich auch LĂŒcken in den UnterrichtsplĂ€nen der Schulen. Und ein VersĂ€umnis der Banken selbst."

 

Kai Anderson und ich haben JĂŒrgen Fitschen in seinem VorstandsbĂŒro direkt in den TĂŒrmen der Deutschen Bank fĂŒr "Das agile Unternehmen - Wie Organisationen sich neu erfinden" (Campus) interviewt. Dieses Interview wurde heute in Finanzwelt.de veröffentlicht. Wir haben ihn als eine sehr starke und angenehme Persönlichkeit wahrgenommen. Foto: Laslo Dani

 

JĂŒrgen Fitschen, ehemaliger Vorstand Deutsche Bank AG, im GesprĂ€ch mit den Buchautoren Kai Anderson und Jane Uhlig fĂŒr "Das agile Unternehmen - Wie Organisationen sich neu erfinden" (Campus Verlag).

 

UHLIG: Ihr Lebenslauf ist old school – das meine ich positiv. Sie sind in einem Dorf aufgewachsen, haben eine klassische Ausbildung absolviert, sind dann fĂŒr einige Jahre zur Citibank gegangen, anschließend waren Sie viele Jahre bei der Deutschen Bank tĂ€tig. Diese KontinuitĂ€t erlebt man ja heutzutage bei Managern eher selten. Was waren die entscheidenden VerĂ€nderungen fĂŒr Sie?

 

FITSCHEN: Das war sicherlich in frĂŒhen Jahren der Wechsel von der kleinen Dorfschule aufs Gymnasium. Ebenso spĂ€ter der Wechsel in die große Stadt Hamburg zur Lehre und anschließend zur UniversitĂ€t. Dies alles hat sich natĂŒrlich sehr stark ausgewirkt auf die Art und Weise, wie ich Dinge empfunden und gedacht habe. Das heißt, mit vielen VerĂ€nderungen ist immer wieder ein neuer Anstoß gekommen, der meine Sicht auf die Dinge neu beeinflusst und neue Horizonte eröffnet hat. Womöglich liegt hier die Wurzel fĂŒr meine spĂ€tere Entscheidung, beruflich nach Asien zu gehen. Ich war in Thailand, als dieses Land die am schnellsten wachsende Volkswirtschaft weltweit war; durchschnittlich 14 Prozent im Jahr. Zu erleben, wenn plötzlich wirtschaftlich alles möglich ist, ist eine besondere Erfahrung. Und drei Jahre spĂ€ter in Japan erlebte ich das Gegenteil. Die Blase platzte. Und die Gesellschaft war, weil wir vom Wandel sprechen, nicht in der Lage, damit angemessen umzugehen. Und das bis heute. 20 Jahre spĂ€ter stellen wir immer noch fest, dass ein Wandel dort nicht vollstĂ€ndig stattgefunden hat, wie es in anderen Gesellschaften zur gleichen Zeit möglich war. Insofern profitiere ich von diesen sehr unterschiedlichen Erfahrungen, die ich gemacht habe. VerĂ€nderungen haben mein Weltbild nachhaltig geprĂ€gt. DafĂŒr bin ich sehr dankbar. Man wird sehr viel toleranter, hat mehr VerstĂ€ndnis fĂŒr die Sichtweisen Anderer. Und ich denke, das ist mir auch spĂ€ter in der FĂŒhrungsaufgabe in Deutschland zugutegekommen.

 

UHLIG: War der Wandel etwas Bedrohliches fĂŒr Sie?

 

FITSCHEN: Im Gegenteil. Steter Wandel ist ein vertrauter Teil meines Lebens. Wenn ich auf meine Berufsjahre zurĂŒckblicke, dann relativiert sich im Nachhinein so mancher Erfolg oder Nicht-Erfolg. FĂŒr mich gibt es heute auch keine „schwarz-weiß“ Sichtweisen mehr. Meine Erfahrung mit VerĂ€nderungen hat mich gelehrt, dass die Medaille immer zwei Seiten hat - mindestens. Wandel ist fĂŒr mich also etwas ganz NatĂŒrliches. Er war nie bedrohlich fĂŒr mich.

 

UHLIG: Kann Karriere im Zuge stĂ€ndiger VerĂ€nderungsprozesse ĂŒberhaupt geplant werden?

 

FITSCHEN: Ich wurde oft von jĂŒngeren Mitarbeitern gefragt, ob man denn angesichts aller VerĂ€nderungen und Unsicherheiten ĂŒberhaupt noch seinen Berufsweg planen soll? Mein Rat: Wir können nicht alles im Voraus planen. Man sollte sich manchmal auch der Situation stellen und dann aus der Situation heraus entscheiden und das Beste daraus machen. Ich glaube nicht, dass es generell möglich ist, auf viele Jahre im Voraus genau festzulegen, wie die Dinge sich entwickeln werden.

 

UHLIG: Meinen Sie, die Unsicherheit in unserer Gesellschaft wÀchst?

 

FITSCHEN: Das befĂŒrchte ich. Gerade in den letzten Wochen und Monaten konnten wir eindrucksvoll beobachten, wie sich die Dinge in unserer Welt verĂ€ndern – nicht immer zum Guten. Wer hĂ€tte vor ein paar Monaten noch gedacht, dass man deutschen Politikern in Griechenland so feindselig begegnet? Alle Stereotypen sind hier wieder hochgekommen. Und auch nicht wenige Deutsche scheinen zu glauben, die Griechen seien faul und wĂŒrden auf Kosten anderer leben. Umgekehrt legt man den Griechen in den Mund, wir, die Deutschen, wĂŒrden sie gĂ€ngeln und wirtschaftlich ausnutzen. Das ist schon erstaunlich. Bis vor kurzem war das VerhĂ€ltnis zwischen beiden LĂ€ndern intakt, geprĂ€gt von Freundschaft und engen wirtschaftlichen Beziehungen. Oder schauen Sie sich die Situation in der Ukraine und das Verhalten in Russland an. Das ist wenig ermutigend. Und zeigt ebenfalls, wie stark die Welt VerĂ€nderungen und Unsicherheiten ausgesetzt ist. Das wird kĂŒnftig eher zunehmen als abnehmen. Darauf mĂŒssen wir uns einstellen.

 

UHLIG: Und wenn Sie die Perspektive aus der Bank heraus betrachten?

 

FITSCHEN: Hier beschĂ€ftigen mich vor allem zwei Dinge: einmal die fortschreitende Digitalisierung unserer Welt, weil sie das gesellschaftliche Miteinander dramatisch verĂ€ndern wird. Wir BĂŒrger sind hier im Übrigen sehr inkonsequent. Alle scheinen gerne ihre privaten Daten preis zu geben und loben gleichzeitig die Errungenschaften des freien Internets. Dies birgt durchaus Gefahren. Die Menschen merken oftmals gar nicht mehr, dass sie auch einen Preis zahlen, und zwar nicht im monetĂ€ren Sinne. Sie zahlen sozusagen mit ihrer eigenen Information, die andere dann wirtschaftlich ausnutzen können. Das fĂŒhrt mich zum zweiten Punkt – der Ökonomisierung des Privaten. Auch das verĂ€ndert die Art und Weise unseres Zusammenlebens fundamental.

 

UHLIG: Können Sie Beispiele fĂŒr die Ökonomisierung des Privaten nennen?

 

FITSCHEN: Es betrifft verschiedene Lebensbereiche, wie beispielsweise Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen, Altersvorsorge, kulturelle AktivitĂ€ten oder die Inanspruchnahme von Infrastruktureinrichtungen. Dabei scheint es mir in Zeiten zunehmender Digitalisierung fĂŒr eine wachsende Zahl von Menschen problematischer zu werden, zwischen den Begriffen „ohne Nutzen“ und „nutzlos“ zu unterscheiden.

 

ANDERSON: ZurĂŒck zu Ihnen: Wie empfanden Sie Ihre RĂŒckkehr nach Deutschland? Das war sicher nicht so einfach.

 

FITSCHEN: ZurĂŒck nach Deutschland zu kommen war viel schwieriger als vorher innerhalb Asiens zu wechseln. Denn jetzt war ich in der Zentrale. Und diese Umgebung war vor allem eines: sehr deutsch geprĂ€gt. Andererseits hatte es auch seine GrĂŒnde, warum man mich gebeten hatte, wieder nach Deutschland zu kommen. Es war ja nicht so, dass Asien fĂŒr die Bank nicht mehr interessant gewesen wĂ€re. Man hat aber gesehen, wie ich in Asien mit Kollegen und Kunden umgegangen bin und wollte, dass ich das von Frankfurt aus mit weltweiter Perspektive mache. Aber bequem und einfach war dieser Schritt fĂŒr mich sicher nicht. Ich wurde aus meiner gewohnten Umgebung herausgerissen. Man kann sagen, ich ging, bevor ich alles ernten konnte, was ich vorher gesĂ€t hatte. Dieses GefĂŒhl, etwas unvollendet zurĂŒckgelassen zu haben, war damals stark bei mir vorhanden.

 

UHLIG: In welcher Kultur haben Sie sich wohler gefĂŒhlt, in der asiatischen oder in der deutschen?

 

FITSCHEN: Das kann ich nicht eindeutig beantworten. Ich habe vor allem den persönlichen Umgang in Asien geschĂ€tzt, der dort eine besonders große Rolle spielt. Der Umgang mit Asiaten ist durchaus kompliziert. Wer aber dem Vorurteil glaubt, Asiaten seien oberflĂ€chlich und lĂ€chelten stets, hat diese Kultur nicht verstanden. Man kommuniziert dort eben auf andere Art und Weise, wie das bei uns ĂŒblich ist. Aber eines haben beide Kulturen gemeinsam: Man kann zu jedem Menschen einen persönlichen Zugang finden, wenn man ihm mit dem nötigen Respekt begegnet.

 

UHLIG: Sie haben in Ihrem Berufsleben ein großes Netzwerk aufgebaut. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in verschiedenen LĂ€ndern insbesondere in Europa, Asien und dem Mittleren Osten. Es muss ein Erfolgsgeheimnis geben, warum Sie mit den Menschen in den unterschiedlichsten Regionen besonders gut auskommen. Was ist das Geheimnis?

 

FITSCHEN: Ich versuche meinen GesprĂ€chspartnern das GefĂŒhl zu vermitteln, dass sie offen mit mir sprechen können – ohne Gefahr zu laufen, das Gesicht zu verlieren. Das ist das Schlimmste, was man seinem GesprĂ€chspartner in Asien antun kann: ihn bloß zu stellen. Hier in Deutschland spielt dieser Punkt nicht so eine große Rolle. Auch nicht in den USA, wo sie vielleicht zunĂ€chst direkt kritisiert werden, wenn sie zu weit gegangen sind. Danach ist es aber auch schnell wieder vergessen. Das geht in Asien nicht, das dĂŒrfen sie dort nicht tun. Sie mĂŒssen immer und jederzeit die Form wahren. Die Direktheit, die wir hier in den westlichen LĂ€ndern pflegen, gibt es in Asien nicht. Deshalb ist es fĂŒr einige westliche Manager auch schwierig, mit Asiaten ins GesprĂ€ch zu kommen und von ihnen akzeptiert zu werden. Aber diese Akzeptanz mĂŒssen Sie sich erarbeiten. Hier entstehen echte Partnerschaften in vielen Jahren vertrauensvoller Zusammenarbeit. So etwas finden Sie heute in den westlichen LĂ€ndern nicht mehr oft.

 

UHLIG: Sie haben viel erlebt mit Managern aus der Wirtschaft, auch in emotionalen Situationen. Konnten Sie immer vertrauen?

 

FITSCHEN: Nein, nicht immer. Ich habe auch meine Erfahrungen gemacht. Aber nicht so, dass ich danach ohne Hoffnung geworden wÀre. Man braucht eine gewisse Gelassenheit. Man muss erkennen, dass es im Leben nicht immer gerecht zugeht und dass man daran aber nicht verzweifeln sollte.

 

ANDERSON: Wobei Ihre Karriere wahrscheinlich auch wenig Anlass zu Zweifeln gegeben hat, oder? Also ich denke jetzt an die Zeit, als die Welt wirklich noch in Ordnung war. Die Deutsche Bank war der Inbegriff der StabilitĂ€t. Sie waren im Vorstand angekommen. Denkt man da ans Scheitern, wenn man so einen erfolgreichen Weg gegangen ist? Bekommt man da ĂŒberhaupt Zweifel?

 

FITSCHEN: Na ja, die heile Welt, die Sie hier ansprechen, von der reden wir zwar hĂ€ufig, aber dann doch meistens in der RĂŒckschau. Ich habe meine Zweifel, ob die Welt jemals so „in Ordnung“ war. Zum anderen verstehe ich Zweifel als FĂ€higkeit, sich selbst in Frage zu stellen. Verliert man diese FĂ€higkeit, wird es gefĂ€hrlich.

 

UHLIG: Und die Nachricht vom Ausscheiden Anshu Jains, ihres Co-Vorstandsvorsitzenden, war sicher auch nicht einfach.

 

FITSCHEN: Auch diese VerĂ€nderung muss ein Manager verkraften. Und sie mĂŒssen immer damit rechnen, dass so etwas passieren kann. Wer sich hinstellt und meint, er sei jetzt ganz oben angekommen und ihm könne nichts mehr passieren, der scheint mir ziemlich naiv.

 

UHLIG: Sie als Co-Vorstandsvorsitzender werden in der Öffentlichkeit von vielen mit einem gewissen Neidfaktor wahrgenommen: gehobener Status, hohes Gehalt, Chauffeur, Dienstwagen, exklusives BĂŒro. Vielen ist nicht klar, welcher Einsatz damit verbunden ist - im Sinne von ĂŒberdurchschnittlicher Verantwortung, viel Arbeit und pausenloser Termine; kaum Privatleben. Meinen Sie, die Menschen sollten mehr darĂŒber erfahren, was ein Manager in Ihrer Position alles leistet?

 

FITSCHEN: Ich glaube, viele sehen schon, dass wir eine hohe Verantwortung tragen und dass wir einen sehr ausgefĂŒllten Kalender haben. Vieles wird festgemacht an der Person des Vorstandsvorsitzenden. Das habe ich zu Zeiten von meinem VorgĂ€nger erfahren, und nachdem Anshu Jain und ich ĂŒbernommen hatten, ist es uns genauso ergangen. Man darf nicht den Versuch machen, sich dem zu entziehen. Insofern ist diese Art der Öffentlichkeitsarbeit, die wir in dieser Position verrichten, ein Teil unseres Aufgabengebietes, ein Teil, der in dieser medialen Welt immer wichtiger geworden ist.

 

ANDERSON: Es gibt den Spruch von Clement Stone: "To every disadvantage there is a corresponding advantage." Können Sie dem Ganzen etwas Positives abgewinnen?

 

FITSCHEN: Es gab in meinem Berufsleben keinen einzigen Tag, den ich als verlorenen Tag empfunden habe. Die unzĂ€hligen Begegnungen mit Freunden, Kollegen und Kunden auf der ganzen Welt möchte ich auf gar keinen Fall missen. Das kann sicher nicht jeder von seinem Beruf behaupten. Und ich bin mir zutiefst bewusst, welches GlĂŒck mir damit zuteilgeworden ist. Die positiven Aspekte ĂŒberwiegen eindeutig.

 

UHLIG: Finden Sie den Slogan Ihrer Bank „Leistung aus Leidenschaft.“ noch angemessen im Zuge der Krise und des Kulturwandels? Oder mĂŒsste der Slogan heißen: Leistung aus Verantwortung?

 

FITSCHEN: Ich habe sehr frĂŒh gesagt, dass ich den Slogan nicht mehr optimal finde. Damit will ich nicht sagen, dass Leistung aus Leidenschaft fĂŒr uns nicht mehr gilt. Sie gehört zur Deutschen Bank. Denn wir nehmen fĂŒr uns in Anspruch, dass wir stets die höchsten Erwartungen an uns alle haben. Das muss auch so bleiben. Ich habe den Slogan deshalb kritisch beurteilt, weil Leidenschaft auch zu Exzessen fĂŒhren kann, wenn sie keine Grenzen mehr kennt, wenn Menschen Maß und Mitte verlieren. Und deshalb sagte ich, dass Verantwortung, IntegritĂ€t und Disziplin ebenfalls dazugehören. Das heißt, Leidenschaft allein reicht nicht aus, sie muss auch verantwortungsvoll umgesetzt werden.

 

UHLIG: War die Leidenschaft am Pokertisch das Dilemma?

 

FITSCHEN: Poker ist GlĂŒcksspiel, und das ist schlicht nicht unser GeschĂ€ft. Leidenschaft im falsch verstandenen Sinne ist, wie gesagt, generell nicht gut. Man muss im Übrigen bei der Aufarbeitung von Fehlverhalten immer auch die Zeit berĂŒcksichtigen, in der es aufgetreten ist. Es gilt gut zu unterscheiden zwischen den Dingen, die sowohl damals wie auch heute nicht korrekt waren bzw. sind. Und es gibt andere FĂ€lle, die aus heutiger Sicht nicht richtig sind, aber seinerzeit rechtlich in Ordnung waren. Nicht alles, was damals getan wurde, muss heute sanktioniert werden. Aber wir stellen fest, dass sich die Einstellung zu bestimmtem GeschĂ€ften und Handlungsweisen geĂ€ndert hat – und oftmals zu recht. Und deshalb wollen wir uns auch in Zukunft genauso leidenschaftlich um unsere Kunden kĂŒmmern wie bisher.

 

UHLIG: Welche Rolle spielt Risiko dabei?

 

FITSCHEN: Ernstzunehmende Stimmen sagen, dass wir bald eine Gesellschaft sind, in der keiner mehr bereit ist, Risiken zu ĂŒbernehmen. Eine Gesellschaft, in der jeder glaubt, er muss gegen alle EventualitĂ€ten geschĂŒtzt werden. Das kann nicht funktionieren, denn unser GeschĂ€ft hat per se nicht nur Chancen, sondern auch Risiken. Ein AutoverkĂ€ufer bekommt Probleme, wenn das von ihm verkaufte Auto permanent in die Werkstatt muss. Wenn der KĂ€ufer allerdings seinen Wagen beschĂ€digt, wird in der Regel nicht der Automobilhersteller dafĂŒr verantwortlich gemacht. Wenn dagegen ein Bankkunde eine Investition tĂ€tigt, die sich nicht gut entwickelt, dann ist es relativ einfach fĂŒr ihn, in die Öffentlichkeit zu gehen und seine Bank der schlechten Beratung zu beschuldigen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird man fĂŒr ihn VerstĂ€ndnis haben. Letztendlich geht es um die Frage, wie viel MĂŒndigkeit wollen Sie dem Einzelnen in wirtschaftlichen Dingen ĂŒberlassen und wie viel Verantwortung sollen wir als Bank dabei tragen? Wo ist hier die Grenze? Denn Chancen und Risiken eines BankgeschĂ€fts sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Das bleibt fĂŒr die Banken - und fĂŒr die Gesellschaft - ein spannendes Thema, das auch Teil des Kulturwandels der Deutschen Bank ist.

 

ANDERSON: TrĂ€gt die Belegschaft diesen Wandel mit? Von außen betrachtet ist das eine große VerĂ€nderung. Wie kommen Sie hier voran?

 

FITSCHEN: Nie schnell genug. Wenn sie allerdings eine solche VerhaltensĂ€nderung innerhalb weniger Wochen oder Monate erreichen wollen, dann brauchen sie gar nicht erst anzufangen. Das dauert Jahre. Wir versuchen den Fortschritt auch zu messen. Die Ergebnisse unserer internen Befragungen zeigen regelmĂ€ĂŸig, dass unsere Mitarbeiter von der Richtigkeit eines kulturellen Wandels ĂŒberzeugt sind. Jetzt gilt es, diesen Wandel in der tĂ€glichen Arbeit auf breiter Basis umzusetzen. Erst wenn die Kollegen gemeinsame Werte und Überzeugungen nicht nur teilen, sondern sich tagtĂ€glich danach verhalten, dann wird der Wandel glaubwĂŒrdig. Mit knapp 100.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unterschiedlichen Kulturkreisen ist das schon eine besondere Aufgabe. Und die muss sehr langfristig angelegt sein.

 

UHLIG: Die Motivation des Handelns ist ja ein großes Thema, dass natĂŒrlich auch die Mitarbeiter, die hier agieren oder anfangen, auch die entsprechende Haltung und das entsprechende Handeln mit in die Bank bringen


 

FITSCHEN: Es gab eine Zeit als der Beruf des Investmentbankers sehr angesehen war. Nicht immer aus den Motiven, die wir besonders gern sehen, aber es war so. Das ist heute nicht mehr so. Manche Kollegen sagen im Freundes- und Bekanntenkreis nicht mehr, was sie beruflich machen, weil sie sonst schief in der Gesellschaft angesehen werden. Davon mĂŒssen wir wieder wegkommen, denn beide Entwicklungen sind Übertreibungen. Deshalb ist der Kulturwandel in unserer Branche so wichtig.

 

ANDERSON: Das schlechte Image gilt insgesamt fĂŒrs Banking und nicht nur fĂŒr das Investmentbanking. Als ich in den 80ern das Abitur gemacht habe, da war die Banklehre der beliebte Einstieg ins Berufsleben, wenn man in Richtung Betriebswirtschaft marschieren wollte.

 

FITSCHEN: Das VerhĂ€ltnis zu den Banken und ihren Mitarbeitern war immer schon ein bisschen anders als zu anderen Unternehmen. Dennoch hat sich hier ĂŒber die Jahre etwas grundlegend geĂ€ndert. In Hamburg gab es zwei Ausbildungsberufe, die besonders hoch angesehen waren. Das waren der Außenhandelskaufmann und der Bankkaufmann. Die anderen Kaufmanns-Berufe waren nicht ganz so hoch angesehen, warum auch immer. Man musste sich damals auf keinen Fall dafĂŒr verteidigen, dass man Bankkaufmann oder -frau wurde. Das ist erst spĂ€ter gekommen, da bin ich völlig bei Ihnen. Ich beneide manchmal die Kollegen aus der Automobilindustrie, die auf Messen ihre schönen neuen Autos vorfĂŒhren können. Die kriegen meistens immer donnernden Applaus. Ich bin aber ĂŒberzeugt, dass sich das Ansehen der Banken wieder dort einpendeln wird, wo es sein sollte. Wir und alle meine Kollegen arbeiten hart daran.

 

ANDERSON: Diese Abneigung zeugt von wenig VerstĂ€ndnis fĂŒr makroökonomische ZusammenhĂ€nge, oder?

 

FITSCHEN: Das ist der Punkt, der mir am meisten Sorgen macht. Das Vertrauen, von dem wir gesprochen haben, kann nur dann entstehen, wenn auch VerstĂ€ndnis fĂŒr die Rolle der Banken da ist. Das schließt auch ein, dass gesagt wird, was Banken nicht machen können. Das fĂ€ngt schon bei der EZB, der EuropĂ€ischen Zentralbank, an. Mario Draghi wird momentan auch heftig kritisiert. Warum? Weil alle Leute sagen, er schĂŒttet so viel Geld aus und löst das Problem nicht. Wenn diese Leute zuhören wĂŒrden, dann wĂŒrden sie schnell zu einer anderen Einstellung kommen. Herr Draghi ist der Erste, der immer wieder gesagt hat, ich löse das Problem mit Sicherheit nicht, das kann ich gar nicht. Ich gebe nur Zeit fĂŒr die, die das Problem lösen sollen. Aber dieser Unterschied wird nicht gesehen. Alle zeigen auf die EZB. Soll sie die UnterstĂŒtzung der Banken etwa einstellen? Wer ist dann fĂŒr das daraus folgende Durcheinander verantwortlich?

 

UHLIG: Der normale BĂŒrger versteht die GrĂŒnde nicht, weil zu wenig aufgeklĂ€rt wird


 

FITSCHEN: Wir vergessen manchmal zu sagen, warum wir das alles machen. Was ist ĂŒberhaupt die Aufgabe von Banken? Wie funktionieren die KapitalmĂ€rkte? Da sehe ich auch LĂŒcken in den UnterrichtsplĂ€nen der Schulen. Und ein VersĂ€umnis der Banken selbst. Wir haben es versĂ€umt zu sagen, was eigentlich der Kern und der Sinn einer Verbriefung ist. Dass Derivate in einer modernen Volkswirtschaft ein Instrument sind, um Risiken zu beherrschen – und nicht in erster Linie eine tolle Ertragsquelle fĂŒr Banken. Jeder Landwirt kennt und schĂ€tzt Derivate, da er mit ihnen das Risiko seiner Ernte absichern kann. Erst die Übertreibungen und Exzesse machen solche an sich sehr sinnvollen Finanzprodukte zum Problem.

 

ANDERSON: Wie groß ist die Gefahr, dass Innovationen nicht aus dem Banksektor kommen? Sie nannten vorhin die Digitalisierung mit ihren neuen GeschĂ€ftsmodellen fĂŒr Start-ups und andere Organisationen.

 

FITSCHEN: Die technologische Entwicklung ist in vollem Gange, und sie wird großen Einfluss auf die Banken haben. Wir verfolgen das sehr intensiv und sind im Dialog mit den sogenannten Fintechs. Ich sehe diese Entwicklung nicht als eine Gefahr fĂŒr uns. Das wĂ€re absurd. Die Frage lautet: Was bedeutet die Digitalisierung fĂŒr unsere Kunden, fĂŒr unsere Prozesse und welche neuen Dienstleistungsmöglichkeiten entstehen daraus? Ich kenne keine Bank, die sich diese Fragen nicht stellt. Ich bin sehr zuversichtlich, dass es uns mit dem digitalen Fortschritt gelingen wird, eine stĂ€rkere, schlankere und effizientere Bank zu werden. Wir haben inzwischen eigene Innovation Labs in Berlin, London und Kalifornien, wo wir uns darĂŒber Gedanken machen, wie wir die Kunden besser unterstĂŒtzen und die Prozessketten verfeinern können. Aber ein Bankkunde hat auch in Zukunft nicht nur das – sicher wachsende - BedĂŒrfnis, seine BankgeschĂ€fte digital zu erledigen. Wir benötigen deshalb mehrere KanĂ€le, neben der kompletten Online-Welt auch weiterhin die physische PrĂ€senz mit den Filialen.

 

UHLIG: Mich interessiert noch: Sprechen Sie eigentlich Thai?

 

FITSCHEN: Ich habe ein bisschen Thai gelernt, aber nicht gut genug, was ich heute bedauere. Mit meiner verstorbenen thailĂ€ndischen Frau habe ich zunĂ€chst deutsch gesprochen, da sie diese Sprache fließend beherrschte. Und dann habe ich angefangen Thai zu lernen; aber nach einem Jahr bin ich dann aus beruflichen GrĂŒnden nach Japan gegangen. Und in Japan hat sich der Fehler wiederholt. Das bedaure ich bis heute. Meine beiden Kinder sprechen fließend Thai. Wenn sie sich lustig ĂŒber mich machen, dann kriege ich das nicht richtig mit. Leider.

 

ANDERSON: Mit welchen Argumenten wĂŒrden Sie heute jungen Menschen zum Bankberuf raten?

 

FITSCHEN: Eltern fragen mich manchmal, ob ich ihrem Sohn oder ihrer Tochter empfehlen könne, heute noch eine Banklehre zu machen oder in einer Bank zu arbeiten? Ich sage: Ja, das ist ein hochspannender Beruf. Ich tue das nicht ganz uneigennĂŒtzig, muss ich bekennen. Denn als Deutsche Bank brauchen wir auch kĂŒnftig die besten Talente, um weiterhin auf Weltniveau vorne mit dabei sein zu können. NatĂŒrlich weiß ich, dass die Ausbildung und die Arbeit bei uns unglaublich abwechslungsreich und im positiven Sinne herausfordernd ist. Ich bin auch fest davon ĂŒberzeugt, dass die Menschen hier in Deutschland eigentlich möchten, dass wir sehr erfolgreich arbeiten und dass wir so arbeiten, dass sie mit Stolz sagen können: Das ist unsere Deutsche Bank.

 

UHLIG: Ihr wichtigster Rat fĂŒr VerĂ€nderungsfĂ€higkeit.

 

FITSCHEN: Ich habe mal gesagt, wer Zukunft gestalten will, muss wissen, wo er herkommt. Und die Kunst besteht darin, die Frage zu beantworten, was im Rahmen des Wandels bestĂ€ndig ist. Ich bin kein AnhĂ€nger davon, dass alles, was gestern funktioniert hat, auf einmal weg muss. Anders ausgedrĂŒckt: Man muss die Dinge verĂ€ndern, die man verbessern will. Denn ĂŒber eines muss man sich im Klaren sein: Zum Wirtschaften gehört immer die Anerkennung der Unkenntnis dessen, was in der Zukunft passieren wird. Und deswegen muss in jedem Wandlungsprozess die Option des Hinterfragens integriert sein, damit man zum geeigneten Zeitpunkt dann auch Korrekturen vornehmen kann. Wer das nicht tut, kann sein Unternehmen nicht guten Gewissens in eine sichere Zukunft fĂŒhren.

 

UHLIG: Vielen Dank.

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